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Seitenwechsel – Theater mit Stefan Jürgens als schwuler Fußballer in den Hamburger Kammerspielen

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Theater meets Fußball. Und diesem Motto hatte das Solostück „Seitenwechsel“ um einen schwulen Fußballtrainer in den Hamburger Kammerspielen Premiere. Wie brisant das Thema des schwulen Fußballers, den es zumindest in der Öffentlichkeit kaum gibt, ist, erschließt sich vielleicht nicht jedem. Doch im Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer kommt ein solches Stück zur rechten Zeit auf die Bühne.

Axel Schneider & Stefan JürgensBühnengespräch mit Axel Schneider & Stefan Jürgens

Stefan Jürgens glänzt in dem Stück des englischen Autors Chris Chibnall unter der Regie des Intendanten der Kammerspiele Axel Schneider und erntete beim Hamburger Premierenpublikum gestern tosenden Applaus. Zwei Stunden lang folgten wir seinem sehr platischen Schicksal als schwuler Trainer einer drittklassigen Mannschaft im Mutterland des Fußballs. In dem wunderbaren Bühnenbild einer blau-weißen Umkleidekabine mit gelber Duschwand zeigt Jürgens einen Mann, der sich seiner Homosexualität nie bewußt war, bis er von skandalsüchtigen Medien dazu gezwungen wird. Ein Judas-Kuss im Freudenjubel verrät ihn.

Das Stück scheint Stefan Jürgens, der durch RTL-Samstagnacht wie seine Kollegen Olli Dittrich, Wiegald Boning, Mirco Nontschew und Esther Schweins in den 90er-Jahren bekannt wurde, fast auf dem Leib geschrieben. Man nimmt ihm den Jugentrainer ab. Ja, so kann es in den Spielerkabinen und im Fußballgeschäft zugehen.

„Seitenwechsel“ erzählt beispielhaft was passieren kann, wenn man in einem System nicht funktioniert. Zudem bricht es mit einem der immer noch bestgehütetsten Geheimnisse — Homosexualität im Profifußball. Denn was aus echten Kerlen und Männerfreundschaften, aus Schulterklopfen und Teamgeist wird, zeigt das Theaterstück in einer rasanten und hochspannenden Tour de Force.

Im letzten Viertel des Theaterstücks geht es aber erst so richtig zum Thema zur Sache. Das hätte ich mir mehr gewünscht. Denn hier wird der Hass thematisiert, der einem homosexuellen Mann in einer Männerdomaine von dern „Heteros“ entgegenschlägt. Die Intoleranz der der Massen, die Skandalgeilheit der Medien, die Ablehnung und Vereinsamung des unfreiwillig geouteten, doch am Ende ehrlichen Fußballlehrers.

Doch gibt ein Happy End.

Aus meiner Sicht wird in diesem unterhaltsamen und kurzweiligen Stück deutlich, wie weit entfernt die „aufgeklärten“ westlichen Gesellschaften bei diesem Thema von Toleranz und Menschlichkeit sind. Die männliche Fußballwelt ist scheinbar eine uneinnehmbare Festung der Ignoranz und Verdrängung. Ähnlich verhält es sich beim Militär, in manchen Chefetagen und in Autowerkstätten! Schlimm.

Versteckspieler von Ronny Blaschke
Versteckspieler

Eine Woche vor der Premiere veranstalteten die Hamburger Kammerspiele ein Bühnengespräch zum Thema mit Indendant und Regisseur, Schauspieler, Karl Schmidt vom DFB, Marcus Urban, einem schwulen ehemaligen Fußball-Profi, moderiert von Ronny Blaschke, der das Buch über Marcus Urban schrieb (Versteckspieler. Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban). Das Thema hat auf jeden Fall Resonanz in der Presse. Aber wo sind sie die schwulen Fußballer. Ich kenne nur einen und den erst seit diesem Bühnenspräch, er sitzt dort oben rechts und heißt Marcus Urban. Sonst scheint es keine bekannten bekennenden homosexuellen Fußballspieler zu geben. Dabei kann das gar nicht sein. Es müsste nach Adam Riese den einen oder anderen Schwulen im Deutschen Ligabetrieb geben. Aber keiner outet sich.

Bühnengespräch in den Hamburger KammerspielenBühnengespräch in den Hamburger Kammerspielen

Das war auch meine Frage an die Protagonisten auf der Bühne, wie erklärt man sich diesen Umstand, dass es keine ehemaligen Fußballer gibt, die zumindest nach ihrer Karriere sagen, ja, ich bin schwul. Das kann doch eigentlich nicht sein oder gibt es vielleicht doch keine schwulen Mannschaftskameraden? Ja, mein Urban, es könnte daran liegen, dass man das Verhalten, das Versteckspiel derart verinnerlicht hat, dass man es kaum abstellen kann. Jürgens meinte, dass man nach der Karriere vermutlich keine Lust mehr auf diesen ganzen Betrieb hat und es einfach hinter sich lässt … anstatt sich im Nachhinein zu outen. Ich verstehe diese Antworten, befriedigend sind sie nicht.

Es war ein recht lebhaftes Gespräch. Soll sich der DFB in seiner Satzung explizit auf Homosexualität beziehen, wie man das bei der Fremdenfeindlichkeit getan hat, nämlich dass der DFB „rassistischen, verfassungs- und fremdenfeindlichen Bestrebungen und anderen diskriminierenden oder menschenverachtenden Verhaltensweisen entschieden entgegen“ tritt. Ja, meinte Schmidt, das könne man wohl tun.

Karl Schmidt vom DFBKarl Schmidt, DFB

Schmidt verhaspelte sich dann schwer, als er den Missbrauchs-Skandal an den Jesuiten-Schulen mit der DFB-Trainerausbildung im Bezug auf Schwulsein in einen Topf war. Ein übler Fauxpas, der am Ende doch deutlich machte, wie dieses Thema unbewußt besetzt ist: Nämlich mit der irraltionalen Angst, dass ein schwuler Trainer seine jugendlichen Schutzbefohlenen sexuell missbrauchen könnte. Und schloss damit zur unsäglichen Äußerungen des skandalumwitterten Übungsleiters Chriftoph Daum auf, der in die selbe Richtung grätschte. Dieses krasse Vorteil wurde auch im Stück thematisiert.

Der DFB-Präsident Thea Zwanziger hat seine Teilnahme leider kurzfritsig abgesagt. Vermutlich um so doch Besucher und Aufmerksamkeit für das Thema durch sein angekündites Erscheinen hervorzurufen. Und dann doch etwas anderes vorzuhaben!

Wir haben einen schwulen Aussenminister und eine Frau als Regierungschefin. Nur in der Fußballwelt und anderen von skurrilen Männerbildern beherrschten Berufszweigen scheint es kein Vorankommen von Normalität und Toleranz zu geben. Wobei Schauspieler Stefan Jürgens mehrmals betonte, dass es in gewissen Sinne gar nicht um Toleranz geht, sondern um Normalität. Es ginge nämlich niemanden etwas an, welche sexuellen Vorlieben oder Gepflogenheiten jemand hätte.

Nur beim warmen Duschen in der Männerumkleide des hochleistungsorientierten ProfiFußballs wankt ein ganzen Weltbild, ja ein Glaubensbekenntnis scheint den Boden zu verlieren, wenn hier jemand aufhört einer zu sein, der er so nie war. Denn Schwulsein ist genauso normal wie Herterosexualität.

Insgesamt ein lohnendes und wichtiges Stück Theater dieser „Seitenwechsel“ mit Stefan Jürgens. Es kommt genau richtig zum WM-Sommer und soll auch 2011 zur Frauen-Fußballweltmeisterschaft in Deutschland noch gespielt werden …

Autor von „Seitenwechsel“:
Chris Chibnall (Twitter)
Offiziell anerkannten schwul-lesbischen Fußball-Fanclubs:
Queer Football Fanclubs (QFF)
Theater meets Fußball in Zusammenarbeit mit der
DFB-Kulturstiftung

http://hamburger-kammerspiele.de

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