Abendmahl mit Brautschau
Ich habe, das will ich gestehen, eine anrührende Geschichte hier unterschlagen. Sie spielt am Vorabend des 24. Dezembers, des Heiligen Abends. Ja, ich weiß, alles was hier jetzt folgt, ist nicht grad aktuell, aber himmelherrgott, das ist nun einmal mein Delay.
Ich traf mich also nach langer Zeit endlich wieder einmal mit meiner allerliebsten Rocksängerin, einer nahen Lieben. Wir wollten schön was schnasseln gehen [schnasseln:mapfen:dinieren] und stapfen spät noch durch St. Pauli. Wir entschlossen uns dann doch, eines unserer Lieblingsrestaurants anzulaufen, das zauberhafte Abendmahl.
Normalerweise muss man dort einen Tisch reservieren, denn groß ist es nicht, aber ausgesucht. Verwegen aber, wie man sich nun mal fühlt nächtens auf Pauli, überließen wir uns einfach unserem Schicksal. Und siehe da – im Laden war noch Platz für uns! Es war nicht ganz so voll wie üblich, vermutlich wegen der drohenden Feiertage – da sitzt man eben ein letztes Mal ruhig zu Hause, atmet durch und meditiert sich Kraft für die kommenden Familienkämpfe in den Fernseher. Uns war das mehr als recht.
Die stets freundliche, adrette, ja sympathische Bekellnerei informierte uns jedoch, dass es heute kein Essen á la Card, als vielmehr ein Überraschungmenü gäbe – für runde 20 Glocken. Aber ein 5-Gänge-Überraschungmenü. Das kam uns gerade recht, so wollen wir die Geschenketage einläuten. Denn wir beide sind angesichts DIESER glanzvollen Leckereien im Abendmahl kaum in der Lage, uns für nur EINE, na ja, vielleicht zwei zu entscheiden. Abgemacht! Wohin mit uns? Aaah, ja, da hinten, wundervoll, vielen Dank, alles bestens.
Nun haben die keine Webseite, sonst könnte ich ein bisschen zeigen von dem Laden. Es ist einerseits recht schnuckelig und schlicht, andererseits holzig und gediegen, vor allem aber atmosphärisch warm und wohl, durch allerlei Spiegel und dezenten Schicknack. Sehr professionell. Ich fühle mich hier immer gut aufgehoben und vertraue blind dem Service und der Küche. Na ja, der Besitzer, der meine charmante Begleitung auch schon mal heiraten wollte, hat ein feines Händchen für die Servicekräfte – sie sind allesamt weiblich, haben Charakter und Ausstrahlung, sind stets bemüht, immer freundlich und für manchen Scherz zu haben. Sie schreiben einen auf Wunsch sogar das Menü in verschnörkelter Kunsthandschrift auf, damit man es dann monatelang entziffern kann. Ich mag das alles!
Wir begaben uns also in den kleineren Raum zu Tisch und erzählten uns aus unserem Seelenleben. Mit ihr ist das immer ganz wundervoll. Dann kamen gemählich nach und nach die Speisen herein. Das Timing war kolossal, gelassen und zeitlos.
Zunächst kam: Crêpe an Lachs, Avocado & Rucola mit Papageifisch!
Die Vorspeise zur Vorspeise. Diese hieß später: Schwarzwurzelcremesuppe mit Nordseekrabbben!
Wunderbar lecker das alles und zusammen mit dem Gespräch und der Atmosphäre richtig gut für die Seele. Wir haben uns darüber echt gefreut.
An einen anderen Bohlentisch, ich konnte ihn direkt einsehen, gewahr ich etwas Ungewöhnliches: Da saß ein Mädel mit einem… Schleier, einem weißen Schleier. Vier junge Frauen waren es insgesamt und sie schienen viel Spaß zu haben. Außerdem sahen sie zucker aus. Wir begannen schon über diese seltsame Runde zu tuscheln, als uns der nächste Gang gereicht wurde. Just in diesem Moment kam die Schleierfrau zu uns rüber und erzählte kurz ihr Begehr, wie sie es auch schon an den anderen Tischen tat. Es stellte sich heraus, dass sie heute Jungfrauenabschied feierte, am 29. heiratete und wir uns in ihrem, äh, Poesiealbum, nein, es war ein Jungfrauenabschiedbuch, verewigen sollten. Da würde sie sich sehr drüber freuen und es gäbe auch eine Belohnung. Sie wünschte uns guten Appetit und wir uns das Wolfsbarschfilet auf Orangenrisotto mit Blattspinat, Tomatenfilet & Weißweinschaum endlich an unseren Gaumen!
Die Braut kam dann später noch einmal an unseren Tisch. Er war ja immer genügend Zeit zwischen den Gängen. Diesmal ohne den Schleier, so dass man ihre ganze Schönheit bewundern konnte. Ja. Ja, sie war so schön wie unser Essen, wie unser Essen klang. Und sie war nicht nur wunderhübsch, sondern auch noch entzückend charmant und einfach liebenswert. Sie war relativ groß und schlank, hatte eine wirklich tolle Figur, sehr feminin und fraulich, lange, lockige Haare, ein sinnliches Gesicht, einen Knutschemund und Schleckehals… ach, lassen wir das. Jedenfalls war sie die schönste Braut, die ich je vor meiner Nase sah. Sie erinnerte mich – obwohl sie ein ganz anderer Typ ist – an die schönste Braut, die ich je im Fernsehen sah:
Seht ihr, wie sie mich auf dem Bild anschaut? Ich liebe ja die Spanierinnen, aber die ist wohl – vorerst – weg…
Wir kamen also noch vor dem Hirschrückensteak mit Rotkohlcanneloni alle ins Gespräch und das war furchtbar nett. Wir fragten sie natürlich einen Loch in ihren… Streichelbauch… ah, wir wollten das doch lassen. Zum Beispiel, warum sie gerade am 29. Dezember heiratete – den Grund allerdings habe ich vergessen, irgendwas, schwanger war sich jedenfalls nicht. Sie ist 28 Jahre alt und ich meine, damit nicht wirklich zu jung. Ihren Liebsten kennt sie schon drei Jahre, es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen. Man hätte sich außerhalb ein Haus gekauft und wolle nun… Ich finde das toll und war regelrecht begeistert und habe mich sehr für sie gefreut. Aber am Meisten habe ich mich für ihren Kerl gefreut. Denn allein ihre Stimme, hätte meine Rotkohlcanneloni zum Hirschrückensteak glattweg entrollen können. Was einige Typen für ein Glück haben!
Nun habe ich mit heiraten weiß Gott nichts am Hut. Vor allem nicht mehr so jung. Aber das hätte ich doch gerne damals gehabt, dachte ich, einen Menschen, den man so sehr liebt, dass man sich diesen Unfug aber so richtig schön reinzieht. Nein, die Braut war zauberhaft. Wir kamen noch weiter ins Gespräch, da meine ebenso charmante Begleitung erst kürzlich auf einer Hochzeit in einer katholischen Kirche gesungen hatte und man sich doch überlegen könne, ob das nicht auch etwas für ihre Hochzeit wäre. Dazu aber kam es dann nicht.
Ich schrieb brav dieser umwerfenden Braut ein kleines, feines Gedichten in ihr Erinnerungsheft und erhielt dafür Süßigkeiten aus zarter Hand. Und die Adresse dieses Blogs hab ich auch reingeklebt. Sie war ganz angetan und wird sich diesen Text hier wahrscheinlich zusammen mit ihren Enkelkindern reinziehen. Schöne Grüße.
Wir gingen danach zum Finale über, das wirklich ein Traum war, im Grunde der Höhepunkt des ganzen Jahres, ein weltmeisterlicher Nachtisch namens: Weißes Schokoeis, warme Himbeeren auf mit Lebkuchenmasse gefülltes Crêpe, Schokotorté, dazu Christstollenparfait & Schmandtörchen!
Der Abend war rund, wie unsere Bäuche. Aber nicht beschwert, sondern leicht, entspannt und wunderschön wie diese Braut. Ein Highlight zum Jahresabschluß, wie man es sich gelungener kaum vorstellen kann – da es voller angenehmer Überraschungen war. Dass mir das neue Jahr genau dieses bis jetzt tatsächlich bietet, nämlich wundervolle Überraschungen, hätte ich damals nicht gedacht.
Aber so will ich meinen Jungfrauenabschied auch begehen und… ich will heiraten vielleicht!
Fotos: Zuckerbraut von mtsofan/John, Die Braut von Artis Rams, Bride von Paul Goyette