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Buchcover: Wesentliche Bedürfnisse

Rezension: „Wesentliche Bedürfnisse“ von Res Sigusch

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Res Siguschs Wesentliche Bedürfnisse ist ein herausragendes Porträt über die Brüche im Leben eines Kunstprofessors, die Fliehkräfte der Kunstwelt und die melancholischen Zwischentöne des Alterns. Mit filmischer Lebendigkeit und bitterem Witz erzählt der Roman die Geschichte von Benjamin Leiser, der, trotz äußerlich erfolgreichem Leben, von einer tiefen Sehnsucht nach Sinn, Berührung und Zugehörigkeit geplagt wird. Sigusch kombiniert präzise Beobachtungen des Kunstbetriebs mit einer vielschichtigen Charakterstudie und schafft dabei eine narrative Dynamik, die zugleich berührt und irritiert.


Inhalt und Themen

Im Mittelpunkt steht Benjamin Leiser, ein Kunstprofessor mit allem, was vermeintlich zählt: Status, Geld und Beziehungen. Doch anstelle von Zufriedenheit plagen ihn Erinnerungen an gescheiterte Träume – Maler werden, Vater sein, das Glück finden. Als er auf den jungen Studenten Konstantin Mai trifft, wird dieser zu einem Stellvertreter für all das, was Benjamin nie erreichen konnte.

Sigusch taucht tief in die psychologischen Abgründe seiner Figuren ein und zeigt, wie Benjamin zwischen Selbstmitleid und dem verzweifelten Versuch, Bedeutung in seinem Leben zu finden, schwankt. Diese Themen werden meisterhaft in den Kunstbetrieb der Berliner Szene eingebettet: Vernissagen voller inszenierter Oberflächlichkeiten, das Ringen um Anerkennung und die Illusion von Nähe und Gemeinschaft.


Sprachliche Raffinesse und Perspektivenwechsel

Sigusch beweist beeindruckende stilistische Kontrolle, insbesondere durch multiperspektivisches Erzählen. Die wechselnden Blickwinkel erlauben es dem Leser, Benjamin sowohl als liebenswerten Antihelden als auch als egozentrischen Zyniker wahrzunehmen. Die Dialoge sind pointiert, voller Subtext und entlarven die Figuren, ohne sie zu verurteilen. Besonders stark sind die Momente, in denen Sigusch die Dynamik zwischen Benjamin und Konstantin beschreibt – ein spannendes Wechselspiel aus Bewunderung, Begehren und Projektion.


Gesellschaftskritik und universelle Fragen

Obwohl der Roman vordergründig eine Künstlergeschichte erzählt, bietet er weit mehr: Eine kritische Auseinandersetzung mit den wesentlichen Bedürfnissen des modernen Menschen. Was bleibt, wenn Erfolg, Anerkennung und Beziehungen nicht die erhoffte Erfüllung bringen? Sigusch lotet aus, wie der Kunstbetrieb nicht nur Kreativität, sondern auch Persönlichkeiten verbiegt, und entlarvt dabei das Dilemma zwischen Individualität und Anpassung.

Die Subtilität, mit der Themen wie Identität, Macht und Moral verwoben werden, macht das Buch zu einem intellektuellen Genuss. Besonders gelungen ist die Verbindung zwischen der persönlichen Ebene und größeren gesellschaftlichen Fragen, etwa wie Konsum und Erfolg als moderne „Ersatzreligionen“ fungieren.


Kritik: Überhöhungen und Zynismus

Ein Schwachpunkt des Romans könnte für manche Leser der gelegentliche Zynismus sein, mit dem Sigusch den Kunstbetrieb und die Beziehungen seiner Figuren skizziert. Die Figuren wirken manchmal bewusst überhöht, fast karikaturhaft, was ihre Menschlichkeit mindert. Benjamin selbst bleibt trotz der intensiven Einblicke in sein Inneres oft distanziert, was es erschwert, sich voll und ganz mit ihm zu identifizieren.


Die Bedeutung für die Gegenwartsliteratur

Res Sigusch gelingt mit Wesentliche Bedürfnisse ein intensives Porträt über das Scheitern und das Suchen nach Sinn. Der Roman bietet nicht nur eine scharfsinnige Reflexion über die Berliner Kunstwelt, sondern spricht universelle Fragen an, die auch außerhalb des Künstlerkosmos Resonanz finden. Mit Präzision, Witz und literarischer Brillanz gelingt es Sigusch, die Zerbrechlichkeit der menschlichen Psyche offenzulegen und dabei dennoch Raum für Empathie zu lassen.

Aber du hast doch nicht nichts! Res Sigusch über den Roman „Wesentliche Bedürfnisse“

Wesentliche Bedürfnisse

von Res Sigusch
272 Seiten, Berlin Verlag (1. August 2024)
ISBN 3827015049
Buch hier bestellen

Leseprobe: Wesentliche Bedürfnisse

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