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Schauspielhaus

Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?

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„Revolutionäres Theater“ am Hamburger Schauspielhaus: Das umstrittene Theaterstück von Regisseur Volker Lösch mit 25 „Hartz-IV-Empfängern“ ist jeden Cent – auch der öffentlichen Förderung – wert und einfach … grandios! Muss man gesehen haben!

So wünsche ich mir Theater – abgesehen von den wichtigen, lustigen Stücken: Lebensnah, echt, provokant, spielerisch, unterhaltsam, aktuell … und politisch! „Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?“ bietet das alles in kurzweiliger, packender Form.

Das Publikum bei diesem Stück scheint irgendwie ein anderes zu sein, als die klassischen Theatergänger. Auch DIE LINKE wittert Klientel und verteilt vor dem Schauspielhaus Flugblätter mit irgenwelchem Blabla – typisch für aktive Kommunsiten.

Das Stück beginnt in dem die 25 „echten Hartz-IV-Empfänger“ vor den Vorhang treten und im Chor ihre Lebensgeschichten sprechen, manchmal schreien. Nicht nur diese Szene bringt den Zuschauer an die Grenze des Erträglichen. Dies betrifft jedoch nicht die Inszenierung an sich, die vortrefflich ist, sondern ihren INHALT. Die erniedrigende Armut und das Schicksal dieser Leute – dieser eigentlich Millionen Menschen – macht den Skandal der Hartz-IV-Gesetzgebung und die tiefe Verlogenheit der Arbeitsmarktpolitik begreifbar.

Die Gruppe hat immer wieder grandiose Chor-Einlagen und in der ALDI-/LIDL-Kulisse packende, bestürzende und sehr lebendige Massenszenen. Sobald sie zusammensacken, tritt ein „Motivations-Bundestrainer“ auf den Plan und baut sie mit speziellen Übungen wieder auf.

Durchsetzt ist das Stück mit Szenen der „echten“ fünf Schauspieler. Es geht von der französischen Revolution, über eine sehr originelle Szene mit der redenschwingenden Lenin-Statue, über die 68er, dann den deutschen Terroristen bis hin zu der verachtenden Haltung der Bessergestellten und ist meines Erachtens grandios gespielt. Besonders widerwärtig wie die gute Marion Breckwoldt sich selbst das Fett absaugt …

Das Stück endet – folgerichtig – mit der skandalumitterten Szene der Nennung von Namen und Anschrift der 36 reichsten Hamburger. Diese Liste (unten den 300 reichsten Deutschen befinden sich 36 Hamburger) bezieht sich auf ein Spezial des Manager Magazins, das im Theater zum Verkauf ausliegt.

Unsere Hamburger Kultur-Senatorin von Welck, die sonst eine gute Figur macht, hat sich zu dem Stück geäußert und findet: „Einzelpersonen an den Pranger zu stellen, ist eine billige, populistische Form, Kritik auszudrücken“.

Braucht man jedoch nicht so zu sehen. Es wird einfach die Ungerechtigkeit deutlich gemacht: Hier die Leute, die nicht wissen, wie sie normal leben sollen und dort jene, die einen Reichtum angehäuft haben, der einem den Atem raubt.

Jeder weiß doch, dass es gute Hamburger Tradition ist, mit solch vielem Geld zu helfen und zu unterstützen, etwa in Stiftungen und gerade auch der Kultur. Ich habe diese Szene auch nicht als ANKLAGE wahrgenommen, sondern als Kenntlichmachung des Abstands von unten zu oben. Was die Frage aufwirft, warum eine moderne Gesellschaft diese asozialen Entgrenzungen von Armut und Reichtum in diesen Ausformungen toleriert.

Vier Hamburger Superreiche drohten über ihre Anwälte dem Schauspielhaus mit „einstweiligen Verfügungen“, wenn ihre Namen in dem Stück genannt werden. Man hielt sich natürlich daran. Schwaches Bild von diesen oberen 10.000 kann ich dazu nur sagen – mit solchen Vermögen sollte man souverän über den Dingen stehen.

Und was ist also aus der Revolution geworden, die dereinst angetreten war und immer wieder mal antritt, das Leben der Menschen ge-rechter zu gestalten, den hart arbeitenden Menschen eine Stimme zu geben, damit sie von Ausbeutung und Knechtschaft befreit ein gutes Leben führen können? Wo ist sie hin die Solidarität, die Kampfeslust, wenn ein guter Teil der Bevölkerung sich abgehängt fühlt … von den Erfolgreichen und … Arbeithabenden? Eine wichtige und drängende Frage, die in Wut mündet genährt von Ohnmacht und bereit macht für einen Kampf, von dem niemand so recht weiß, wie und wo er gekämpft werden soll …

Am Ende, unter tosendem Beifall, verbeugt sich das Ensemble nicht, so wie es üblich wäre im Theater. Nein, sie beugen sich nicht, sie bedanken sich nicht – sie bleiben aufrecht. Ich fand das groß.

Alles in allem ein tolles Stück Theater-Kultur, das Diskussionen anregt, in der Presse für Aufregung sorgt … und vielleicht sogar die Bürger dieser Stadt wieder näher zueinanderbringt.

Vielen Dank Schauspielhaus und Volker Lösch für diese tolle Idee und die brilliante Umsetzung eines sonst klischeebesetzen Stoffes, der schwer wiegt und schwierig genug ist!

Zwischen Lidl und Lenin bei Nachtkritik.de

„Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?
von Volker Lösch, Beate Seidel und dem Ensemble frei nach »Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade« von Peter Weiss.“

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