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MKG Tiere Cooper Schoedsack King Kong

Tiere – wundervolle Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg (MKG)

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Über Tiere wird zurzeit viel debattiert: Haben sie eine Seele, wie viel Leid spüren sie, muss ihre Individualität durch eigene Rechte geschützt werden? Haben wir Menschen die moralische Legitimation über sie zu verfügen? Dürfen wir ihre Existenz unserem persönlichen Wohl unterordnen, sie verzehren, uns mit ihrer Haut kleiden, sie der Freiheit be-rauben und abrichten zu unserem Vergnügen? In der wissenschaftlichen Diskussion wird das Verhältnis zwischen Mensch und Tier – korrekt zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren – sehr ernst genommen. Im Alltag konsumorientierter Gesellschaften wird dieser Respekt nicht gelebt, das Verhältnis des Menschen zum Tier changiert zwischen unreflektierter Verwertung und sentimentaler Vermenschlichung. Vor dem Hintergrund dieser Kontraste möchte die Ausstellung

Tiere. Respekt/Harmonie/Unterwerfung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) informieren und aus der Perspektive der Kunst sensibilisieren für die Chancen einer respektvollen Koexistenz. Die Ausstellung betrachtet das Zusammenleben und -wirken von Tier und Mensch ohne enzyklopädischen Anspruch aus unterschiedlichen Perspektiven in verschiedenen Epochen und Kulturkreisen. Im Zentrum steht dabei immer die Frage: Wie nah oder wie fremd sind Mensch und Tier einander? Denn vor allem handelt die Ausstellung TIERE vom Menschen und seinem Selbstentwurf in der Natur. Das Tier als Folie seiner Selbstvergewisserung durchzieht als roter Faden den Ausstellungsrundgang. In Themeninseln treffen Arbeiten der Hochkultur, Exponate aus populärem Kontext, Werke indigener Kulturen und naturkundliche Objekte aufeinander. Die Exponate reichen von der Antike bis in die Gegenwart. Die Ausstellung versammelt etwa 200 Leihgaben: Malerei, Skulptur, Grafik, Fotografie, Videokunst, Installationen, Animationsfilme und Comics. Das ganze Museum steht für vier Monate unter dem Motto TIERE. Neben der 1.200 Quadratmeter großen Sonderschau variieren und vertiefen insgesamt 14 Satelliten mit Werken aus den eigenen Beständen das Thema. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Hirmer Verlag.

Tiere-Flyer

Künstler: u.a. Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla, Max Beckmann, Joseph Beuys, Jean Carriès, Albrecht Dürer, Max Ernst, Emmanuel Frémiet, Johann Heinrich Füssli, Jean Paul Gaultier, Giambologna, Douglas Gordon, Francisco de Goya, Ernst Haeckel, Anna Haifisch, George Herriman, Akihiro Higuchi, Hans Hoffmann, Alexander von Humboldt, Fernand Khnopff, Athanasius Kircher, Walt Kelly, Paul Klee, Franz Marc, Gabriel von Max, Henri Rousseau, Michael Schmidt, George Stubbs, Franz von Stuck, Ai Weiwei
Die Ausstellung betrachtet das Verhältnis von Tier und Mensch aus der Perspektive der Künste und beschäftigt sich in diesem Rahmen mit ethischen, spirituellen und emotionalen Fragen. Das Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg ergänzt als Kooperationspartner des MKG die Perspektive um den naturwissenschaftlichen Blick auf die Stellung des Menschen in der Tierwelt. Neben gemeinsamen Angeboten mit dem Zoologischen Museum thematisiert das CeNak in seiner Sonderausstellung Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald (10. November 2017 bis 29. März 2018) das aktuelle Forschungsfeld von Artensterben, Entwaldung und Klimawandel.

Ursprung und Inspiration

Die ältesten Darstellungen von Tieren sind mehr als 30.000 Jahre alt – aus Knochen geschnitzt oder an die Wände von Höhlen gemalt. Seitdem der Mensch Kunstwerke hervorbringt, zählen Tiere zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen. Das früheste Objekt der Ausstellung, die berührende Bernsteinskulptur einer Elchkuh von Weitsche, stammt aus der Eiszeit. Sie zeugt, wie auch ein ägyptischer Falke, ein Jadehirsch aus China, ein Stier aus dem Alten Orient, ein goldenes Wildschwein aus Griechenland, von der Begegnung zwischen Mensch und Tier. Diese Werke lassen auf das Verhältnis des Menschen zum Tier und auf das jeweilige Selbstverständnis einer Gesellschaft schließen, auf ihre religiöse, moralische Verfassung, ihre Einstellung zu Schöpfung und Natur. Die Ausstellung untersucht, mit welchen Visionen sich Künstler dem Tier zuwenden und welche ästhetischen Entwicklungen diese Auseinandersetzung auslöst.

Sehnsucht und Distanz

Das Paradies! Eine Rückkehr ist nicht möglich, aber auf dem Weg in eine bessere Zukunft können die Künste eine entscheidende Rolle spielen. Weniger Chronologie oder Spezies bestimmen die Werkauswahl, jedoch bilden zwei Darstellungen von Elefanten eine thematische Klammer zwischen den Zeugnissen früher Kulturen und der Gegenwart. In der Höhle beginnt beides, Magie und Aufklärung, als sich unsere Vorfahren ein erstes Bild von sich und der Welt machen, die offenbar noch nicht vom Menschen dominiert wird; auf einem „Wimmelbild“ der Mutoko-Höhle in Simbabwe suchen flinke Strichmännchen ihren Platz im unüberschaubaren Reich der Tiere. Majestätisch umreißt die Silhouette von zwei Elefanten das dynamische Durcheinander. Sie sind die Beherrscher der sichtbaren Welt und die Mittler in transzendentale Sphären. Die originalgroßen Kopien, die Kunststudenten 1929 auf einer Expedition mit dem Ethnologen Leo Frobenius in Simbabwe anfertigen, machen die prähistorische Felsund Höhlenkunst damals bekannt. Die sieben Meter breite Zeichnung der Großen Elefanten und weitere Blätter stehen in der Ausstellung nicht nur für ein Zusammenleben von Mensch und Tier in der Frühzeit, über dessen Organisation wir heute immer noch wenig wissen. Sie stehen vor allem für die Sehnsucht des modernen Menschen nach einem harmonischen Konsens mit der Natur, wie sie in vielen Kulturkreisen als Urzustand vermutet wird.

Deshalb sind Franz Marcs Liegender Hund im Schnee (1911) und Der Goldfisch (1925) von Paul Klee den Höhlenbildern in der Ausstellung gegenübergestellt. Beide Künstler suchen in ihrem Werk die Annäherung an eine verlorene authentische Welt. Klees Goldfisch imaginiert den Anfang, als aus der Ursuppe des Wassers alles Leben entsteht. Marcs metaphysischer Blick auf das in sich ruhende, in der Natur geborgene Tier sieht die anfängliche Unschuld, die den Zwängen der Zivilisation weichen muss. Auch Joseph Beuys begegnet dem Verlust einer paradiesischen Einheit von Mensch und Tier mit Melancholie. Er sucht Kontakt zu dem Tier in zeremoniellen Handlungen, um sich ihm wieder anzunähern. So, wie für Marc die „Animalisierung“ der Welt eine Zukunftsvision darstellt, ist für Beuys die Wiedergewinnung einer Kommunikation zwischen Mensch und Tier wesentlicher Bestand einer neuen, ökologisch motivierten sozialen Bewegung.

Auf die Elefanten aus der Höhle antwortet eine Videoinstallation von Douglas Gordon von 2003: Die Elefantenkuh Minnie wird aus dem Zirkus in die New Yorker Gagosian Gallery gebracht. Dort sehen wir sie sich niederlegend – oder fallend – und ungelenk wieder erhebend in einem klinisch weißen Raum. Douglas Gordon beschwört in Play Dead; Real Time keinen gemeinsamen Ursprung, er reflektiert veränderte Machtverhältnisse in der über Jahrtausende währenden Ko-Evolution von Menschen und Elefanten. Vor der Kamera in ungewöhnliche Posen gezwungen, wirkt Minnie kraftvoll und verletzlich zugleich. In ihren hilflosen Bewegungen gibt sie dem anonymen Fangen, Beherrschen und Instrumentalisieren der Elefanten durch den Menschen ihr Gesicht. Die eindrucksvolle Arbeit bündelt Bewunderung für die Schönheit und Würde des Tiers, gleichzeitig aber auch Empathie für ein bezwungenes und abgerichtetes Individuum und schließlich Trauer über eine vom Aussterben bedrohte Art.

Durchdringung und Aneignung

Nie können wir uns wirklich in ein Tier hineinversetzen und auch nicht mit Sicherheit sagen, wie es uns gegenüber empfindet. Der Wunsch, die Tiere zu verstehen, ist alt. Mit allen Mitteln werden sie untersucht. Dabei beeinflussen die wissenschaftlichen und technologisch-medialen Innovationen auch die künstlerische Praxis. Über Jahrhunderte prägen Malerei und grafische Darstellungsverfahren die grundlegenden Vorstellungen über die Tierwelt. In der Renaissance werden Tiere zu eigenständigen Bildthemen. Bis heute ist Dürers Feldhase eine Ikone der Tiermalerei. Eine zeitgenössische Kopie von Hans Hoffmann ist in der Ausstellung zu sehen. Ebenso Dürers Rhinocerus, das, ursprünglich als Flugblatt gedruckt, einem Tier zu weltweitem Ruhm verhilft, das sich dem allgemeinen Erfahrungshorizont entzieht. Die Kombination aus Fantasie, Lektüre und unmittelbarer Anschauung ist kennzeichnend für Bestiarien und zoologische Enzyklopädien, die den Artenreichtum der Tierwelt kartografieren; Exoten und Fabeltiere sind genauso realistisch dargestellt wie heimische Tiere. Dabei sind die täuschend lebensechten Abbildungen kein Selbstzweck, sie belegen vor allem die künstlerische Fähigkeit des Menschen. Der Blick von George Stubbs geht Mitte des 18. Jahrhunderts dem Tier unter die Haut. In fünf Schichten seziert er den Körper eines Pferdes bis zum nackten Skelett. Diese erkenntnisorientierte Dekonstruktion belegt neben den anatomischen Fakten auch eine grundsätzliche Erkenntnis: Das Pferd ist wie der Mensch eine Kreatur aus Fleisch und Blut, verletzlich und fähig, Schmerz zu empfinden. Im 19. Jahrhundert machen Fotografie und Film als neue Medien bisher verborgene Phänomene sichtbar: Röntgenaufnahmen legen die innere Organisation der Tiere offen. Die chronofotografischen Experimente von Etienne-Jules Marey halten Bewegungsabläufe in Zeitlupe fest, um neue Antworten zu finden auf die alte Frage: Warum fällt eine Katze immer auf die Pfoten?

Tiere können vieles, was der Mensch nicht kann: Sie erheben sich in die Lüfte und vermögen bei Nacht sicher zu manövrieren, wie die Fledermaus. Sie schläft kopfüber, wenn wir wachen, und entfaltet ihre Flügel bei Einbruch der Dunkelheit. Ein Aquarell aus dem Dürer-Umkreis hält ihren Flugapparat detailliert fest, dabei sprengt die Spannweite der Flügel den Rahmen des Blattes. Detaillierte anatomische Studien möchten das „abenteuerliche“ Tier begreifbar machen, Ernst Haeckel wagt sich 1904 in seinen Kunstformen der Natur an 13 taxonomische Beschreibungen unterschiedlicher Fledermausgesichter. Der aktuelle Beitrag der Ausstellung zu den Fähigkeiten der Fledermaus ist Bat Bot von 2017. Einem amerikanischen Forscherteam gelang es, das Faszinosum der fledermausischen Aeronautik mit seinen komplexen Bewegungsabläufen und hauchdünner Flugmembran zu imitieren.

Unterordnung und Faszination

Haben Tiere eine Seele? Dürfen wir sie essen, sie einsperren und abrichten? In einem Bilderkosmos von 177 Einzelfotografien, zwischen 2006 und 2010 aufgenommen an verschiedenen Standorten europäischer Lebensmittelproduktion, zeigt Michael Schmidt nüchtern, ohne Sentiment und moralischen Appell die Realität der Tierverarbeitung. Gerade die sachliche Schilderung alltäglicher Praxis fordert die kritische Reflexion massenhafter Tierverwertung heraus. Auf das Tableau Lebensmittel antwortet eine Eberkopfterrine des 18. Jahrhunderts aus dem Fundus des MKG. Das Erlegen einzelner Tiere war damals noch gefährlich, der Verzehr nicht alltäglich und deshalb mit besonderen Zeremonien verbunden. Lag im Mittelalter noch der blutende Leib des Tiers auf dem Tisch, verbannt die Etikette der europäischenHöfe das Ausweiden und Zerlegen in die Küche. Aus der täuschend echt gestalteten Eberkopfterrine dampft kein identifizierbares Tier, sondern ein kulinarisch aufgearbeitetes Wildbretragout.

Das junge Orang-Utan-Weibchen, das 1776 aus Niederländisch-Indien nach Den Haag kam, war eine Sensation. Endlich waren Spekulationen über Wesen und Aussehen des Menschenaffen und die Grenzen zwischen Mensch und Tier am lebendigen Exemplar zu überprüfen. Sie ist geschickt, kann sich aus ihren Ketten befreien, öffnet eine Flasche Wein und stellt sie nach Genuss zurück. Sie ist immer gut gelaunt und schläft nicht gerne allein. Auf dem ersten Ölbild eines Menschenaffen verspeist dieses Weibchen mit einer silbernen Gabel Erdbeeren von einem Porzellanteller. Trotz dieser Ansätze von Zivilisation bleibt ihr Platz ein karges Lager aus Stroh. Die menschliche Überlegenheit wird zementiert. Zwei Generationen später wird Charles Darwin den Affen als des Menschen nächsten Verwandten markieren und über dessen Gefühle und empathisches Vermögen räsonieren. Seitdem muss der Mensch zur Kenntnis nehmen, dass er nicht die Krone der Schöpfung, sondern auch nur ein Tier unter Tieren ist. Erst kürzlich diskutierte man in den USA und in der Türkei die Streichung von Darwins Evolutionstheorie aus dem schulischen Lehrplan – so beunruhigend kann diese Einsicht noch heute sein.

An keinem Tier hat sich der Mensch so abgearbeitet wie am Affen. Das erzählt eine Vielzahl von Exponaten: Den Ägyptern ist der Pavian die Verkörperung von Thot, dem Gott der Weisheit. Die mittelalterliche Vorstellungswelt verbannt den Affen in das Reich des Teufels. Auf der Bühne barocker Höfe trägt er Allongeperücke und versucht sich unter Gelächter vergeblich als Künstler. Im Zuge von Darwins Sensibilisierung konfrontiert Gabriel von Max auf einem Gemälde um 1900 einen Rhesusaffen mit dem Skelett seines Artgenossen – erkennt er bei diesem Anblick seine eigene Sterblichkeit? Noch in den 1920er-Jahren werden Affen im Zoo in menschlicher Kleidung zur Schau gestellt. Die Konstellation von Affe und Frau wird durch den Leinwandhelden King Kong in den 1930er-Jahren zu einem Topos, dessen Faszination nachwirkt. Der erschreckende Realismus des monströsen Riesenaffen, die atemberaubenden Jagdszenen und Klet-terpartien auf dem New Yorker Empire State Building konfrontieren das ungebändigt Wilde mit dem damaligen Idealbild zivilisatorischen Fortschritts. Doch am blutigen Ende siegt über die Angst vor der ungezähmten Natur das Mitleid für den vergeblich Liebenden.

Mythos und Begehren

Auf die Frage nach der Schnittstelle, an der das Menschsein aufhört und das Tiersein beginnt, liefert die antike Mythologie irritierende Antworten. Aus der Konstellation Gott – Mensch – Tier entwickelt sie hybride Kreaturen, die Grenzen und Ordnungen infrage stellen. Wie nah oder wie fern sind sich Mensch und Tier? Diese Mischwesen verunsichern, denn sie lassen uns spüren, dass die Grenze offen ist … Aus der Menge der zahlreichen anthropozoomorphen Existenzen außerhalb der Systeme legt die Ausstellung einen Schwerpunkt auf gefiederte Wandelwesen. Frauen, die Federn tragen, sind gefährlich! Die weltverrätselnde Sphinx posiert nicht ohne Grund auf Sigmund Freuds Exlibris … Medusas Blick tötet, dem Gesang der Sirenen kann kein Lebender widerstehen, Menschenblut trinken die Vampire. Als erotische Verführerinnen unterwerfen sie den Mann und wecken seine Begierden bis in die Gegenwart. Zwischen antiken Skulpturen und Gemälden von Fernand Khnopff, Franz von Stuck und Max Beckmann erscheint im Ausstellungsrundgang eine moderne Sirene: Ein Bolero mit Papageienfedern aus Jean Paul Gaultiers erster Haute-Couture-Kollektion von
1997, belebt durch eine Multimediaprojektion der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, die dem verführerischen Federobjekt eine Stimme gibt.

Der Mensch tritt physisch nicht auf in dieser Ausstellung, präsent wird er mit seinen Sehnsüchten und Ängsten in der Darstellung der Tiere. Nachdem seine körperliche Haltung verloren und seine Ratio ausgeschaltet sind, begegnen wir ihm dennoch in zwei einprägsamen Bildmotiven: Francisco Goyas Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, entstanden 1799, zeigt einen Mann im „Ausnahmezustand“ bedrängt von Eulen und Fledermäusen. Die bekannteste Szenerie für die Machtübernahme der Tiere ist Johann Heinrich Füsslis Nachtmahr, dessen animalische Protagonisten Anlass zu vielfältigen Lesarten bieten: Inzestfantasie, Verarbeitung unerfüllter Leidenschaften, moralisches Panorama des Revolutionszeitalters, Ausdrucksformel für Gewalt. Wegen dieser Bedeutungsoffenheit ist die Trias aus Schimmel und Affe auf einem aus dem Lot gerückten Frauenkörper zu einem Programmbild der unergründlichen Beziehung von Mensch und Tier geworden. In der Epoche der Aufklärung bestehen die Tiere in diesem Bild auf ihrem Eigenleben, das der Mensch zu unterdrücken und zu beherrschen versucht, ohne es vollständig ergründen zu können. Wenn die Träumende erwacht, sind ihre Begleiter der Nacht verschwunden. Deshalb verstört die körperliche Wucht dieser Chimären des Unterbewussten. Sie verweisen auf die Verbindung von Tier und Sexualität, wie sie angelegt ist in den Mischwesen der antiken Mythologie, von Sigmund Freud aufgegriffen und variiert in den erotischen Fantasien des 20. Jahrhunderts. Das Motiv der Windsbraut entwirft Max Ernst 1927 unter dem Eindruck der Psychoanalyse als Traum. Im Sog eines magischen Gestirns winden sich zwei amorphe Pferdeleiber im Liebesspiel. Der von Freud 1919 formulierte Begriff des „Unheimlichen“ als Gefühlsqualität, der das Fremde, Abstoßende und Beängstigende als Teil der Ästhetik anerkennt, greift für jene Tiere, denen Menschen in ihren Träumen begegnen.

Versöhnung und Respekt

Mit der Videoinstallation Raptor’s Rapture von Allora & Calzadilla endet die Ausstellung versöhnlich. Eine Musikerin und ein Altweltgeier sitzen einander gegenüber, spitze Töne füllen den Raum. Gespielt wird eine prähistorische Flöte, die Nachbildung des ältesten überlieferten Musikinstruments, das 2008 im Hohle Fels ans Tageslicht kam. Es wurde vor 35.000 Jahren geschnitzt aus der Speiche eines Gänsegeiers, einem Ahnen unseres Protagonisten. Durch das Spiel treten beide, Vogel und Frau, symbolisch mit ihren Vorfahren in Kontakt. Sie kommunizieren, immer wieder antwortet der Geier auf die Flötentöne mit heiserem Ratschen und spannt die mächtigen Flügel. „Kak“, „kak“, so, wie der Geier tönt die Flöte, Klänge aus einer fernen Welt. Wenn die Fähigkeit zum künstlerischen Ausdruck Menschsein charakterisiert, dann war es offenbar das Tier, das diese Kreativität ausgelöst hat. Der Geier hat zur Flöte nicht nur aus seiner Speiche das Material geliefert. Vielmehr hat das Tier den Impuls gesetzt und dem Menschen ein Gefühl von Musikalität vermittelt. Raptor’s Rapture zeigt Mensch und Tier im Dialog verbunden und weckt damit die Sehnsucht nach einer harmonischen Koexistenz, wie sie in der Urgesellschaft vermutet wird, wie wir sie vermissen und wiedererlangen müssen in einer gemeinsamen Zukunft.

Tour-der-Tiere

Satelliten zum Thema im MKG: Tieralphabete/Zieralphabete, Gerd Bucerius Bibliothek, Ein Krokodil in der Kunstkammer!, Renaissance, Symbolkraft der Tiere, Christentum, Angebetete Geschöpfe, Antike, Schalentiere, Historismus, Musik, Mensch und Tier, Musikinstrumente, Fische schmücken, Jugendstil, Mit Friedrich Seidenstücker im Zoo, Moderne, In fremden Häuten, Mode, Auf der Seidenstraße unterwegs, Ostasien, Tierkampf und Jagd im alten Iran, Islamische Kunst, Trauernde Tiere, Buddhismus, Jochen Lempert/Peter Piller. Fotografie neu ordnen: Vögel, Fotografie, KatzenBilderKatzen, Plakat

Katalog: Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Hirmer Verlag, hg. Sabine Schulze und Dennis Conrad, in dem alle Exponate abgebildet und gewürdigt werden. Mit Beiträgen von Roland Borgards, Harald Floss, Matthias Glaubrecht, Mareike Hennig, Petra Lange-Berndt, Philipp Osten, Maurice Saß, Jessica Ullrich u.a., 288 Seiten, ca. 200 Abbildungen in Farbe, Buchhandelsausgabe 39,90 Euro, Museumsausgabe 29,Euro!

Leihgeber: Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig, California Institute of Technology, Pasadena, CA, Hamburger Kunsthalle, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig, Jean Paul Gaultier SA, Paris, Klassik Stiftung Weimar, Lisson Gallery, London, MMK Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main, Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie, Besançon, Musée des Beaux-Arts de Dijon, Museum Folkwang, Essen, Petit Palais, Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris, Rijksmuseum Amsterdam, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Städel Museum, Frankfurt am Main, zahlreiche weitere Sammlungen und Bibliotheken sowie private Leihgeber

Ausstellung: Tiere. Respekt Harmonie Unterwerfung

Vom 3. November 2017 bis 4. März 2018

MKG Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg

Steintorplatz 1, 20099 Hamburg

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